SonntagsZeitung, 12.11.2006
Die Provokation ist sein Stilmittel
Carlos Varela von den Young Boys erregt die Gemüter - als guter Fussballer und Hitzkopf
VON PETER M. BIRRER
BERN Neulich zeigte er es wieder, sein bekanntes Gesicht. Die TV-Kamera filmte mit, aber es störte ihn in diesem Moment nicht, dass sehen konnte, wer wollte, dass er im Spiel mit YB gegen Sion Alberto Regazzoni am Ohr zupfte wie ein Kind. Carlos Varela war wieder einmal im Element, abgetaucht in die andere Welt, die sich ihm auftut, sobald er auf dem Fussballplatz steht. Regazzoni habe «etwas» gesagt, sagt Varela. Gefallen lässt er sich das nicht tatenlos. Aber, Carlos Varela, können Sie verstehen, dass es Zuschauer gibt, die sich über Sie aufregen? «Ja», sagt er. Immerhin.
Vater, Mutter und Schwester waren sein Rückhalt
Carlos Varela, 29, Spanier, seit 2005 Fussballer bei YB, Hitzkopf, Provokateur und Reizfigur. Er hört gelassen zu, die Bezeichnungen sind für ihn nicht neu. Varela hat gehobene Qualitäten, ist ein schneller und torgefährlicher Mittelfeldspieler, aber oft fällt er eben auch anderweitig auf. Er legt sich mit allen an, gerne mit den Schiedsrichtern, von denen es nicht manchen gibt, den er für qualifiziert hält. Und mit dem Gegner scheut er erst recht keinen Konflikt.
Varela sitzt mit schwarzer Wollmütze in einem Restaurant im Bauch des Stade de Suisse in Bern, und jetzt ist er ganz und gar nicht ein ungehobelter, sondern ein netter Kerl. Er erzählt von früher, von seiner Kindheit in Genf, wo er aufgewachsen ist. Wie ihn seine Mutter in den Fussballklub schickte und sich liebevoll um ihn kümmerte. Er habe, sagt er, «eine Traumerziehung» genossen. Vater, Mutter, Schwester, sie waren sein Rückhalt. Varela schloss eine Lehre als Elektriker ab und brachte stolz seinen ersten Vertrag nach Hause, der Servette ihm gab. Umberto Barberis, damals Trainer, hatte das veranlasst. Varela, der nie daran dachte, Profi zu werden, spielte plötzlich doch berufshalber Fussball, bei Servette, in Basel, in Aarau, jetzt ist er bei YB. Mit der Schwester, die in Genf lebt, hat er täglich bis fünfmal telefonischen Kontakt. Seine Mutter starb vor vier Jahren, sein Vater Eusebio, den er «mein grosses Vorbild» nennt, lebt seither wieder in der Heimat in Galizien.
Sicherheit in der Schweiz zog er stets dem Auslandtransfer vor
Varela hätte die Schweiz verlassen können, zum Beispiel nach München zu 1860, mehr Geld hätte es dafür gegeben, aber Varela wollte nicht, weil er, der sich gerne so unerschrocken gibt, auch eine konservative Seite hat: «Ich brauche Sicherheit.» Die Schweiz ist für ihn ein Nest, in dem er sich geborgen fühlt. «Es gibt für mich auch ein Leben ohne den Fussball. Ich könnte wieder als Elektriker arbeiten, für viel weniger Lohn. Ich habe viele Kollegen, Maler, Elektriker, die haben am Ende des Monats nicht viel auf der Seite. Aber sie sind glücklich.»
Noch ist er Fussballer, glücklich wie seine Freunde, und er sieht sich auch in der Rolle eines Schauspielers. «Die Leute zahlen Eintritt und wollen unterhalten werden», sagt Varela, «und ich gehe immer nur mit einem Ziel auf den Platz: YB muss siegen.» Und dafür ist jedes Mittel recht? «Was ist schlimm an meinem Stil», fragt er zurück, «in Italien, in Spanien wird Woche für Woche so gekämpft, aber niemand regt sich darüber auf, das ist normal. Fussball ist auch Show.»
Hakan Yakin vergleicht Varela mit dem Franzosen Ribéry
Und schnell kommt er auf Zahlen zu sprechen: «Zwei gelb-rote und vielleicht 60 gelbe Karten in zehn Jahren - ist das viel?» Varela will Respekt verbreiten, «ich will zeigen, dass ich da bin, ja, es soll keiner glücklich sein, gegen mich spielen zu können». Dabei ist Varela im Grunde ein höchst sensibler Mensch, der schnell wässrige Augen bekommen kann.
Im nationalen Geschäft trägt Carlos Varela aber das Etikett des Provokateurs. «Er ist bei den Schiedsrichtern abgestempelt», glaubt Hakan Yakin, der mit Varela im Baselbiet in einer WG lebt. Dabei habe er grosse Fähigkeiten: «Ich vergleiche ihn mit dem Franzosen Ribéry, mit dem ich bei Galatasaray zusammenspielte. Und Varela kann noch besser werden.» Yakin findet: «Er und ich sind diejenigen, die im Team für Emotionen sorgen.» Sion soll es heute wieder zu spüren bekommen.
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